Im Januar 2017 hatte mich die Cavallo-Redaktion angeschrieben, ob ich Lust dazu hätte, für die Cavallo-LeserInnen aufzuschreiben, wie Maroun und ich uns kennengelernt haben. Darüber habe ich mich natürlich sehr gefreut! : ) Der Textumfang sollte ca. 3000 Zeichen betragen. Also habe ich gleich mit dem Schreiben losgelegt - um dann festzustellen, dass meine Geschichte ca. 3x so lang war, wie sie sein sollte... : P
In der Cavallo (März-Ausgabe) ist die gekürzte Version abgedruckt. Hier ist meine Version im Original, falls jemand Lust dazu hat, einen halben Roman zu lesen... : P
Maroun
– unsere Kennenlerngeschichte
Die Vorgeschichte
Freud und Leid liegen im Leben bekannterweise ja oft dicht beieinander…Im Sommer 2006 musste ich mein Deutsches Reitpony „Sambi“, das mich fast 20 Jahre meines Lebens begleitet hatte, im stolzen Alter von 33 Jahren einschläfern lassen. Eine unglaublich schwere Entscheidung für mich, ich hatte immer gehofft, er würde sie mir abnehmen…Eigentlich wollte ich kein
Pferd mehr, schließlich war ich inzwischen Mutter von zwei kleinen Kindern und
mein Leben war sowohl inhaltlich als auch zeitlich gut gefüllt. Aber ein Leben
ohne Pferd…? Ohne jemals wieder mit erwartungsvollem Blick, gespitzten Ohren
und leisem Brummeln begrüßt zu werden? Ohne auf dem Pferderücken die Natur durchstreifen
zu dürfen? Was für eine Lücke in meinem Leben!
Sehr halbherzig schaute ich mir
in einer durchwachten, tränenreichen Nacht diverse Verkaufsanzeigen an, wohl
wissend, dass kein Pferd dieser Welt jemals das Pony meiner Kindheit würde
ersetzen können – wohl aber mit einem ganz leisen Hoffnungsschimmer, eventuell ein
Pferd für einen Neuanfang finden zu können. Möglichst ein Pferd, das sich
deutlich von meinem ursprünglichen, robusten, stabil gebauten (und natürlich
total niedlichen) Pony unterscheiden würde, um einen direkten Vergleich
weitestgehend ausschließen zu können.
Und dann sah ich SEINE
Verkaufsanzeige. Maroun. Ein filigraner, 6-jähriger, ägyptisch gezogener
reinrassiger Vollblutaraber mit Kindergesicht, der in einem Stall nur wenige
Kilometer von meinem Zuhause entfernt zum Verkauf stand. Das komplette
Gegenteil von meinem Pony. Der Preis irritierte mich – entweder war er wirklich
so günstig, das musste dann aber einen triftigen Grund haben, oder es handelte
sich dabei um einen Tippfehler. Viel stand nicht in der Anzeige – über das
Reiten stand überhaupt nichts drin, wohl aber, dass Maroun intelligent sei und sich
daher bestimmt auch gut für Zirkuslektionen eignen würde. Und dass die
Besitzerin nach NHS arbeiten würde. Allerdings kannte ich mich zu dem Zeitpunkt
weder mit Zirkuslektionen noch mit NHS aus – von letzterem hatte ich wirklich
noch nie etwas gehört. Ich schaute mir alle Bilder von Maroun lange an – zum
Glück waren in der Anzeige mehrere Fotos von ihm vorhanden - zoomte mir sein
Gesicht groß und schaute in seine großen, dunklen Augen…Was war dies wohl für
ein Pferd?
Ich beschloss, ihn zumindest
mal anzusehen. Mein Mann, unsere beiden Kinder und unser Hund waren alle bei
dieser ersten Begegnung mit von der Partie.
Die erste Begegnung
Was für ein hübsches
Pferdchen! Mit Kindergesicht, wie auch auf den Fotos – und wunderschönen, fast
menschlichen Augen…wir schauten uns gegenseitig interessiert an. Maroun war
total neugierig, auch unseren Hund und die Kinder fand er sehr interessant. Und
obwohl er wirklich interessiert war, verlief die erste Kontaktaufnahme von
seiner Seite aus sehr behutsam und vorsichtig. Wir haben ihn dann vom Paddock
durch die Stallgasse geführt – und auch hierbei bestätigte sich mein Eindruck,
dass es sich bei Maroun um ein besonders umsichtiges, vorsichtiges Pferd
handelt: Auf der Stallgasse saß eine Katze und ich hatte kurz Bedenken, dass
Maroun sie evtl. überrennen würde. Aber weit gefehlt! Maroun sah die Katze,
hielt vor ihr an, senkte seinen Kopf und schnüffelte ganz vorsichtig an ihr.
Die Katze wich aus – und Maroun ging dann weiter, nachdem der Weg (bzw. die
Gasse) frei war. Was für ein smartes Pferdchen!
Ich versuchte, mich nicht
sofort in ihn zu verlieben und hörte mir erst einmal beim Putzen von seiner
Vorbesitzerin seine Geschichte an. Als sie Maroun gekauft hatte, war er bereits
vom Anreiten traumatisiert und ließ sich nicht mehr anfassen. Sie konnte sein
Vertrauen in Menschen zwar weitestgehend wieder herstellen, kam aber unter dem
Sattel mit dem von ihr beschrittenen Ausbildungsweg nicht voran (Maroun
verweigerte die Mitarbeit) und hatte das Vertrauen in ihn verloren, nachdem er
sie auf dem Reitplatz übel abgebockt hatte. Das klang natürlich wenig
vertrauenserweckend – aber ich war (und bin) sehr dankbar, wie ehrlich die
Vorbesitzerin mir ihre Probleme mit Maroun geschildert hat! Sie hat wirklich
mit offenen Karten gespielt – ich wusste also, worauf ich mich einlassen würde.
Am Putzplatz wurde es Maroun
irgendwann langweilig – und er fing an, Grimassen zu schneiden. Ich staunte:
Der kleine Araber konnte ja quasi reden! Und musste innerlich sehr
schmunzeln…Diese ausgeprägte kommunikative Ader von Maroun konnte ich in der
dann folgenden Stunde immer wieder bestaunen,
während mir die Vorbesitzerin vorführte, was sie mit Maroun bisher so
gemacht hatte – er kommentierte quasi alles. Das Gebiss fand er richtig eklig,
vor dem Satteln hatte er etwas Angst, Longieren und Handarbeit fand er
überflüssig und langweilig und Reiten fand er sehr besorgniserregend. Insgesamt
machte Maroun einen wenig motivierten, eher genervten Eindruck. Und so verwunderte
es mich auch nicht, dass die Vorbesitzerin Maroun als eher faul beschrieb.
Aber eben weil er so
unglaublich gut ausdrücken konnte, was in ihm vorging, fand ich ihn
ungefährlich und habe mich ganz spontan in den Sattel geschwungen. Es war ein
heißer Tag im August und meine Reitkleidung bestand an dem Tag, an dem ich ja
„nur gucken“ fahren wollte, aus kurzen Shorts mit Badelatschen an den Füßen. Ein
paar Runden im Sattel – und ich war total glücklich! Zwar war ich mir nicht
sicher, ob ich wirklich auf einem Pferd und nicht vielleicht doch auf einer
Giraffe saß (Kopf in den Himmel, Unterhals raus- und Rücken weggedrückt) – aber
böse war der kleine Araber wirklich nicht. Nur sehr verunsichert.
„Geht doch alles, den nehmen
wir…“, schlug mein Mann vor. Und zu meinem eigenen Erstaunen hörte ich mich
antworten: „Nein, den nehmen wir bestimmt nicht sofort.“ – Erstaunte Blicke…
„Sambi ist 33 Jahre alt geworden. Wenn dieses Pferd vielleicht doch einen Knall
hat und auch so alt wird, dann haben wir noch 27 Jahre mit einem durchgeknallten Araber vor uns!“ (Dass ich
meine Tiere grundsätzlich lebenslang behalte, weiß mein Mann.)
Mit der Abmachung, in den nun folgenden
Tagen immer zum Araber zu fahren, um ihn näher kennenzulernen - und ohne ihn gleich
gekauft zu haben - fuhren wir dann erst einmal wieder nach Hause. Was war ich
stolz darauf, so unglaublich vernünftig gewesen zu sein! Aber zugegebenermaßen
freute ich mich schon sehr darauf, ihn am nächsten Tag wiederzusehen. : )
Eine Woche lang habe ich
Maroun täglich vor seinem Kauf besucht und mich mit ihm beschäftigt. Mein Fazit:
Maroun ist sehr sensibel, intelligent, vorsichtig, unsicher, schnell ängstlich,
redselig, dabei immer händelbar - und keineswegs durchgeknallt. Ein schlaues
Pferdchen mit einem goldenen Herzen – ich fand ihn toll! Dass er beim Reiten
absolut schwierig und unmotiviert war und auch ansonsten sehr schnell
überfordert schien, konnte mich nicht wirklich abschrecken – das lag ja an
seiner Vorgeschichte und nicht an ihm. Ich war mir irgendwie sicher, ihm
vertrauen zu können und stellte fest, dass mir der Gedanke daran, dass ihn
vielleicht jemand anderes kaufen könnte, nahezu unerträglich schien. Am 04.
August 2006 haben wir Maroun dann gekauft. : )
Unsere Entwicklung
Auch wenn es etwas verrückt klingen
mag, so trafen wir von Anfang an eine Vereinbarung: Ich würde ihm nichts tun -
und er mir nicht.
Maroun findet Gebisse eklig,
er wird daher seit ich ihn habe komplett gebisslos ausgebildet. Er verträgt
weder zu viel Druck noch Zwang (was ich auch sehr verständlich finde), er
möchte selbstständig und freiwillig mitarbeiten dürfen und daher auch alles gut
verständlich erklärt bekommen. Positive Verstärkung findet er grandios!
Ich bin Maroun unendlich
dankbar – durch ihn hat sich mein Leben komplett umgekrempelt. Zum einen musste
ich mir viel neues Wissen aneignen, um diesem schlauen Pferd gerecht zu werden
(und tue es auch immer noch) – sei es über NHS, Zirkuslektionen, Klassische
Dressur, Freiarbeit oder Springen, zum anderen reicht dieses Wissen alleine
aber nicht aus – es muss auch immer noch
den Bedürfnissen von Maroun angepasst werden. Eine Herausforderung, die mir
aber auch viel Spaß macht!
Zunächst einmal habe ich mir
angewöhnt, alle Ausrüstungsgegenstände, die ich für Maroun verwenden möchte, erst
einmal an mir selbst auszuprobieren, um zu erfühlen, wie sie wirken und sicher
gehen zu können, dass sie schmerzfrei und ohne Zwang wirken.
Bei fast allen neu erworbenen
Ausrüstungsgegenständen habe ich daher Änderungen vorgenommen – z.B. Nasenteile
abgepolstert und tlw. gegen breitere ausgewechselt, Kinnriemen ausgetauscht, schwere
Bull-Snaps gegen leichte Karabiner gewechselt, usw. Nach nur wenigen Reittagen
kam es zum ersten großen Geschenk von seiner Seite: Anstatt wie sonst beim
Aufsteigen auszuweichen, stellte Maroun sich von sich aus ganz dicht an den
Zaun, um mich aufsitzen zu lassen. Das war seine Idee – ich hatte ihn nicht
dazu aufgefordert – und ich musste erst einmal verstehen, was er mit seinem
Drängeln an mich heran bezwecken wollte. Dieses freiwillige „Heranstellen“ hat
Maroun bis heute beibehalten.
Für die positive Verstärkung
war eine gute Fresserziehung erforderlich, um aus Maroun kein bettelndes Pferd
zu erziehen. Das war bei ihm überhaupt kein Problem.
Maroun hat meine Erwartungen
so dermaßen übertroffen, dass es schwer ist, es in Worte zu fassen. Allem voran
ist sein geschenktes Vertrauen für mich das Allerwichtigste. Einer der
schönsten Momente für mich war es, als Maroun das erste Mal in der Halle beim
Flachliegen auf meinem Schoß eingeschlafen ist.
Mit ihm gemeinsam habe ich auch
Lektionen gelernt, von deren Existenz ich vorher nichts oder nur wenig wusste
(z.B. Spanischer Schritt und Spanischer Trab, Passage, Pirouetten,
Laufcourbetten, Terre-à-Terre, Flachliegen, Sitzen,…)
Wir haben uns alles selber
erarbeitet. Ich habe sehr viele Bücher gelesen, DVDs angeschaut, Seminare
besucht, auch mal Unterricht genommen usw. Ich musste also kein Rad neu
erfinden, sondern alles „nur“ kritisch hinterfragen (Ist die Lektion
gymnastisch wertvoll, die Ausrüstung ok, die Methode ok?) - und dann für Maroun
passend modifizieren.
Unser Weg ist hoffentlich noch
lange nicht zu Ende, ich freue mich jeden Tag auf Maroun und hoffe, mit ihm
noch viele schöne gemeinsame Momente erleben zu dürfen!
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